Man kann ja über Hausmannskost sagen, was man will, sie ist gewöhnlich. Satt essen und satt essen, das sind zwei verschiedene Dinge, und sie hängen in jedem Fall mit dem Angebot zusammen. Es gibt tatsächlich Situationen, wo das Großhirn des Homosapiens für den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme auszusetzen scheint und das Kleinhirn die Steuerung des Allinclusive Gasts übernimmt.
Wie sonst ist es zu erklären, dass man mit randvoll gefüllten Wassergläsern voller Wein im bereits angetrunkenen Zustand von der Bar, die gerade schließt, versucht, ohne zu schlabbern zu seinem Zimmer zu kommen? Es gibt kein Gesetz, was einem gebietet, dass ein Schlummertrunk einen derartigen Umfang haben muss – außer man hat einen allinclusive Aufenthalt gebucht. Dieser Zustand, dass man theoretisch alles zu sich nehmen könnte, bevor es die anderen einem wegtrinken und wegessen übt Druck auf einen aus, der archaischer Natur ist. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Neuankömmlingen im Restaurant, denen, die gerade erst aus ihrer Heimat angekommen sind, wo sie vermutlich die letzten Wochen nichts zu Essen bekommen haben. Man erkennt sie nicht alleine daran, wie weißhäutig sie noch sind, oder wie orientierungslos sie umherirren, man erkennt sie daran, wie sie sich dem Büfett widmen. Die „alten Hasen“ erinnern sich nur ungern, oder besser gar nicht, daran, wie sie sich am ersten Tag auf das Schlaraffenland geworfen haben. Sie verfolgen das Treiben missbilligend, regen sich kollektiv und Tische übergreifend darüber auf, dass es unanständig sei, wie manche sich ihre Teller aufhäufen, beteuern sich gegenseitig, dass einem ja bei dem Anblick schon schlecht würde und beeilt sich, auch noch eine Schüssel Gambas zu ergattern, bevor die Neulinge sich darin wälzen.
Wissen Sie eigentlich, wie schwer das ist, was das für eine Arbeit ist?
Frühstück: Hartgekochte Eier, weichgekochte Eier, Rühreier, Eierkuchen, aber man steht an der Schlange an vor dem Koch, der individuell Spiegeleier mit Speck oder Omeletts, „with Cheese, Tomato, Oniens, Jam, Garlic…?“ brät.
Besonders dem Hüftspeck zuträglich sind Kreuzfahrten. Sie wissen, diese schwimmenden Plattenbauten. Mittlerweilen soll es ja Kreuzfahrtschiffe geben, wo man die U-Bahn benutzen muss, um von einem Spezialitätenrestaurant zum nächsten zu kommen. Nicht einmal seekrank wird man mehr. Kein Wunder, wenn die Pötte fast größer sind, als das Meer, auf dem sie schwimmen. Aber zurück zum Büfett – sehen Sie, das ist es, was ich meine, zum Büfett! Selektives Ernähren kann man theoretisch vorher in der Gruppe trainieren, teure Kurse bei den Weight Watchers belegen, sich Mantren einprägen…, es nutzt nichts! Der Anblick der kilometerlangen Theken, die dampfenden Chromargankessel, die Berge von Salaten beendet jegliches Denken. Ein Kurzschluss auf der Hirnrinde lässt nur noch einen Gedanken durch: Essen!
Nachts wache ich oft schweißgebadet auf und mit Grausen fällt mir wieder ein, wie meine mir in Liebe verbundene Himbeerschnitte, meine über alles verehrte Gattin, diese Ausgeburt an Selbstdisziplin, verbunden mit der Grazie einer leichtfüßigen Elfe… das erste Mal mit so einem Füllhorn an Kalorien konfrontiert worden war. Es war grauenvoll. Ich aber auch! Wie ein Rollkommando schlugen wir – es war ein 5 Sternehotel in Tunesien gewesen – auf der Salattheke auf, ruderten durch diverse Mayonnaisen, ließen nach dem 4. Nachschlag das Grünzeugs ganz weg und kauten nach Stunden, als wir endlich beim Hauptgang angekommen waren, weidwund guckend auf einer Mischung von gegrilltem Roastbeef, gesottenen Meeresfrüchten, raffinierten Pizzen, pochierten Fischen und diversen Sättigungsbeilagen herum, die wir so kunstvoll auf den Tellern getürmt hatten, dass wir es gerade noch zum Tisch geschafft hatten.
Und das ist es ja noch lange nicht. Dann kommt ja das Nachspeisenbüffet. Und dann der Käse. Und, um das zu verdauen, wälzt man sich in die Bar und füllt sich mit kalorienreichen Alkoholika ab, die einen begrüßenswerten Effekt haben, man erwirbt sich eine relative Schmerzfreiheit, der Druck im Bauchbereich lässt gefühlt etwas nach.
„Morgen lassen wir das Abendessen aber aus“, ist der gängige Vorsatz, den man sich nach so einem Gelage regelmäßig gegenseitig versichert.
Kennen Sie das, The-day-after? Das ist der Morgen, wo man entsetzt auf die Uhr schaut und sich beeilt, ins Bad zu kommen, sich hastig anzieht, weil das Frühstücksbüffet um halb Zehn geschlossen wird. Und nach 14 Tagen Mast fragt man sich zu Hause, im heimischen Badezimmer, wer zwischenzeitlich die Waage kaputt gemacht haben könnte.
Allinclusive
Ach, wie gut erinnere ich mich an den Schrei aus dem Bad: „Ich habe zugenommen! Ich hasse all-inclusive!“ Damals habe ich zurückgerufen:
„Das Büffet ist ein Angebot, mein kleiner Honigspatz. Du musst nicht alles essen!“
Allinclusive. Das ist die Situation, wo sich Kinder zusätzliche Arme wünschen, einen für das Softeis, einen für die Pommes, einen für die Cola, einen für den Kuchenteller… Welcher Sadist hatte diese Idee nur? Alles inklusive! 25 Quadratmeter Büffet. Und wenn man dann weidwund zum Pool fliehen möchte kommt man schon an der Pizzeria vorbei und ein Rudel Kellner hält einem böse grinsend das Tablett mit weiteren Kalorien entgegen. Ich weiß noch genau, wie mir nach einer Woche das Bändchen am Handgelenk nicht mehr passte, dass mich für die Mast kennzeichnete.
Ich erinnere mich wirklich widerwillig, wie mich meine Frau andauernd zu diesen sportlichen Events schleifen wollte. Paragliding, Skitesurfen, Bungie Jumping – „ist doch inklusive!“ Meine blauen Flecken waren es auch. Oder wie sich Madame so oft in der Beauty-Station hat peelen lassen, bis ich sie nicht mehr erkannt habe. Alles all-inclusive!
Und nur schwach erinnere ich mich an den einen Morgen, als ich mit einem dicken Kopf aufgewacht bin. Ich hätte die Bar etwas zu all inclusive besucht, wie man mir sagte. Was mir aber noch sehr gut in Erinnerung geblieben ist, wie meine Frau mir zwei Aspirin mit den Worten hingehalten hat: „Die Bar ist ein Angebot, mein großer Schluckspecht. Du musst nicht alles austrinken!“
Gute Erfahrungen, auch, wenn diese Glosse etwas anderes suggerieren sollte, habe ich im übrigen, bezüglich eines äußerst umfangreichen Hotelbüffet gemacht im Hotel RIU Tikida Beach in Agadir Marokko