Endlose Weiten, Wasser bis zum Horizont
Wir waren seit Monaten unterwegs, meine kleine Honigperle und ich. Ich erinnere mich nicht genau, der wievielte Tag es war, seit wir von Bremerhaven aus in See gestochen waren, Wochen, vielleicht Monate, jedenfalls, als wir eines Morgens die Augen aufschlugen, sahen wir sie fast gleichzeitig über die endlose Weite des Ozeans am Horizont flimmern, wie eine lang erwartete Vision, die Offenbarung des Gesuchten, das einzige Land in der Unendlichkeit…, eine Insel.
Nahezu gleichzeitig riefen wir, meine Frau hinter mir und ich: „Eine Insel“ Schau, da hinten!“ Beim Einschlafen, am Abend hatten wir sie noch nicht bemerkt, also mussten wir in der Nacht darauf zugetrieben sein.
„Da gibt es bestimmt einen Wegweiser“, meinte meine mir in Treue Angetraute. Voller Zuversicht nahmen wir die Paddel wieder fest in die Hand und gaben unser Bestes. Stetig kam die Insel näher, eine starke Strömung begünstigte uns. Es war früh am Morgen und wenn wir das Tempo beibehielten, dann konnten wir gegen Nachmittag bei der Insel sein, rechtzeitig zum Tee und etwas Gebäck.
Ein schöner Tag, wolkenloser Himmel, die ersten Möwen seit langem und eine Insel, die fortwährend näher kam.
Wir mussten, als wir schon die Brandung an den Felsen erkennen konnten ein wenig kräftiger paddeln, um nicht von der Strömung an die Klippen getrieben zu werden, unser kleines Boot hätte eine Kollision mit diesen mächtigen Felsen sicherlich schlecht überstanden, mit kräftigen Stößen, ich feuerte meine liebe Gattin an, „Eins – Zwei, Einst – Zwei, los, feste!“ schafften wir es und kamen um die Insel herum. Überall in den steilen Felswänden nisteten Vögel. An dieser Stelle stand das Land wirklich steil ins Meer und nirgendwo bot sich eine Gelegenheit, anzulanden. Am oberen Rand der Steilküste war nichts zu erkennen. Das Boot schaukelte nicht schlecht in den Brechern. Wer hier nicht aufpasste, der würde unweigerlich in dem scharfen, schwarzen Fels zerschmettert, nichts würde von unserem Zweimann-Faltboot übrigbleiben. Die Holzverstrebung würde bersten, wie Streichholz und das blaue Tuch würde in Fetzen an den scharfen Steinen hängen und von der Sonne und dem Salzwasser langsam ausbleichen, ganz zu schweigen, von uns.
Als wir schon ziemlich enttäuscht wieder ins offene Meer zurücksteuern wollten, tauchte hinter einer Wand ein Einschnitt auf, wo auch die Brandung sich beruhigte. Mit letzter Kraft zogen wir die Paddel durch und bogen in die Bucht ein, an deren Ende wir deutlich einen Strand erkennen konnten und das Grün von Vegetation. Ein flacher Sandstrand offenbarte sich beim Näherkommen und dahinter eine dichte Kette von Palmen und Gebüsch. Kurz hinter diesem Streifen war wieder eine steil aufragende Felswand. Die leichte Brandung hob uns näher ran, zurücklaufende Wellen nahmen uns wieder ein Stück mit zurück, und schließlich knirschte es unter uns, eine letzte Welle hob uns noch einmal an und setzte uns barmherzig auf den weißen Sand. Die weiteren Wellen hatten nicht mehr die Kraft, uns zurück zu ziehen. Meine Frau seufzte und wir legten unsere Paddel erstmals quer vor uns ab.
Wetten, das glaubt mir jetzt keiner?!
Links von uns, in etwa 200 bis 300 Meter Entfernung hörte der Strand auf und die schier endlos wirkende Felswand stieg steil in den Himmel. Vor uns, eine saftiggrüne Mauer von Gestrüpp, Palmen und Blumen. Ein blendend weißer, feinsandiger Strand, hinter dem sich ein Dschungel von betörend exotischer Pflanzen auftat, Vögel sangen Ihre fremden Lieder, Insekten brummten unaufhörlich, der Duft von Millionen betörend wirkender Orchideen mischte sich mit dem würzigen Geruch des Meerwassers und schufen dieses heilsame Klima, diese frischeste jemals genossene Luft. Zur Rechten dieses einsamen Paradiesstrandes erstreckte sich in aller Jungfräulichkeit der Strand ebenfalls bis zu einer steilen Felsklippe, die den Horizont des Meeres abrupt beendete und so den Kontrast der Weite mit der Nähe dieses Naturwunders vereinte. Die Brandung bildete dort ein orchestrales Crescendo mit den exotischen Chören all der im Dickicht verborgenen Vögel. Eine Idylle, die das Herz berührt, die an den Urinstinkt von uns Menschen rührt, an das, was Adam und Eva empfunden haben, wenn sie sich umschauten.
Das einzige, was eventuell etwas störte, das war ein etwa 5-7 Meter großes, schwarz behaartes affenähnliches Monstrum, das gerade aus dem Dickicht gekrochen kam. Ich tastete hinter mich, um meine Frau darauf aufmerksam zu machen, die gerade verträumt in die andere Richtig, den Strand herunter schaute. „Ja“, seufzte sie und folgte meinem Zischen, in die andere Richtung zu schauen.
Vermutlich bin ich nicht mutiger, als meine Frau. Das mag ich keinesfalls behaupten, eher ist es so, dass die weniger unangenehmen Begebenheiten des Lebens unter meine Verantwortung fallen und meine bessere Hälfte eher für die Angelegenheiten zuständig ist, die, ich will es ruhig einmal so ausdrücken, einen ganzen Kerl erfordern. Gleichwohl darf ich mich darauf verlassen, dass meine ganze Männlichkeit gefordert ist, der dichte Nebel meines puren, schieren Testosterons in der Luft zu liegen hat, wenn irgendwo im Haus eine Spinne erkennbar ist. „Mach dieses Monster weg“, pflegt meine Gattin sich dann in gepflegter Hysterie, so oder so ähnlich auszudrücken, bis ich, ganz Herr der Lage die Situation bereinigt habe, den Frieden des Daseins wieder hergestellt habe.
Wie ich also bereits erwähnt hatte seufzte sie „Ja“, und blickte in die Richtung, in der dieser
8-10 Meter große schwarzhaarige Gorilla gerade wie angewurzelt stand und in rund 150 Meter Entfernung, wenn man bei so was überhaupt von Entfernung reden darf, völlig erstaunt zu uns herüber stierte.
In Folge vernahm ich hinter mir ein leichtes Ausatmen und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie meine Frau in sich zusammensackte. Ihr Kopf fiel kraftlos nach vorne und pendelte etwas aus, bevor er zur Ruhe kam.
„Du kannst doch jetzt nicht schlafen“, zischte ich. Aber sie ließ sich nicht stören. Vielleicht war es gar nicht so eine schlechte Idee, diesem Bedürfnis nachzukommen. Womöglich war dieses Tier ja nicht mehr da, wenn man die Augen wieder öffnete. Ich probierte es aus, – aber es war nicht weg. Es war immer noch da, hatte sich auch noch zu seiner vollen Körpergröße von mindestens 12 Metern aufgerichtet und schien unserem Ruhebedürfnis keinerlei Verständnis entgegen zu bringen. Es riss sein gewaltiges Maul, mit ein paar imponierend weißer Reißzähne auf und stieß einen markerschütternden Wutschrei aus, während es sich gleichzeitig vorwärts stürzte, in Richtung auf unser erbärmliches kleines Paddelboot.
Gar nicht weiter beachten dachte ich reflexartig. Eine Abwehrstrategie, die in vielen Lebenslagen von Nutzen ist, wenn meine Frau zum Beispiel meinte, ich könnte auch mal wieder den Müll rausbringen, oder den Wagen waschen. Da half es bislang immer, die Ruhe zu bewahren, Ignoranz vorzutäuschen, eine Fliege zu beobachten, wie sie ihr Tun oder auch Nichtstun verrichtete.
Aber es war keine Fliege da. Das einzige was da war, das war dieses 20 Meter große Monstrum, ein Riesengorilla, der auf dem Strand auf uns zugerannt kam, dass die Erde nur so bebte.
Das konnte es doch nun wirklich nicht sein, dachte ich verzweifelt, dass wir Tausende von Kilometern in einem winzigen Faltboot Stürmen, Riesenwellen und Seeschlangen getrotzt hatten, dass wir jetzt von so einem breitschultrigen Alptraum zertrampelt würden, der aber keine Fatah Morgana zu sein schien und jetzt nur noch höchstens 50 Meter von uns entfernt war, und das im gestreckten Galopp.
Ich verwarf in Eile einige andere Ideen, z.B. wie die, wegzulaufen. Bis ich mich aus dem Faltboot gequält hatte, und außerdem, meine Frau würde mir was anders sagen, wenn ich einfach verschwände.
„Stop!“ rief ich und riss meine Hand hoch. Ich behielt sie oben und bedeutete diesem was-immer-auch Tier, diesem Gi-Ga-Gorilla, dass ich nicht gewillt sei, mich und meine Frau diesem Schicksal zu ergeben.
Ach was, Quatsch: Es war lediglich ein Reflex. Dämlich, ich weiß, naiv dämlich, aber nach so vielen Hollywood Katastrophenfilmen, wo die Helden auch unbeschadet aus explodierenden Raumschiffen herauskommen und ausgewachsenen Drachen den Hals umdrehen, da kann man schon mal den Sinn für die Realität verlieren, – zumal es ja ziemlich surreal anmutet, auf diesem paradiesischen 5 Sterne Eiland mit einer solchen Kreatur konfrontiert zu werden.
Ich hatte also „Stop!“ gerufen und, nein, das ist jetzt genauso passiert, wie man es hier lesen kann, das Monstrum stoppte tatsächlich. Es stemmte sich, auch augenblicklich verstummend mit beiden widerlich behaarten Armen und Beinen in den Sand und hatte wegen der guten Streuung am Strand glücklicherweise einen kurzen Bremsweg. Gut, der Schwung riss es noch eine Strecke mit, es wirbelte auch reichlich Sand auf, aber es kam gut 20 Meter von uns zum Stehen, und glotzte mich mit seinem Gorillagesicht reichlich verdutzt an.
Er verstand offensichtlich Deutsch. Aber das war ja auch egal, Hauptsache, er stand da, und er glotzte.
Nun, ich glotzte auch nicht schlecht. Man stelle sich die Situation nur einmal vor. Ein gigantisches, gut, 15 Meter großer Riesenaffe, tierischer, als jedes wilde Tier, mit einem Maul, groß, wie ein Kühlschrank, Pranken, die einen LKW zermalmt hätten, zwei wütenden roten Augen, die jetzt eher erstaunt guckten, und stoppt, weil ich Stop rufe.
Was jetzt? Langsam sollte ich eine Idee haben, dachte ich bei mir. „Geh zurück!“ rief ich und blickte fest in die Augen des Untiers. Das zögerte einen Augenblick und schüttelte dann trotzig seinen Kopf. „Marsch, zurück!“ wiederholte ich mit fester Stimme, meinen Arm, die Hand weiterhin ausgesteckt.
Der Gorilla erhob sich, schaute demonstrativ in den Himmel und verschränkte trotzig die Arme vor seiner wuchtigen Brust. Langsam wurde mir mein Arm müde. Was tun? In diesem Boot sitzend, mit meinem Unterleib gefangen hatte ich keine Chance. Ich ließ den Arm sinken. Das Tier beobachtete mich aus dem Augenwinkel und schnell hob ich wieder meinen Arm und schrie erschrocken, „Stop!“
Alles muss irgendwie heißen
Augenblicklich streckte das Monstrum seinen Oberkörper vor, sein Kopf schnellte in meine Richtung und ein lautes, aber sehr vernehmliches, „Nein“ kam aus seinem Maul, über seine Lippen. Dann stellte er sich wieder beleidigt hin, die Arme vor seiner Kleiderschrankbrust verschränkt.
Er kann also sprechen dachte ich und hüstelte nervös, er verstand nicht nur, er sprach auch Deutsch.
„Ähm, wie heißt Du?“ Mehr aus Verlegenheit, als aus wirklichem Interesse fragte ich und wollte erst einmal Zeit gewinnen. Der Gorilla horchte in meine Richtung, runzelte die Augenbrauen und schien zu überlegen. „Wie Du heißt?“, wiederholte ich meine Frage und suchte, ein wenig Interesse in meine Stimme zu legen. Das Tier schaute mich jetzt unsicher an und fragte zurück: „Was?“
„Name“, sagte ich, „wie ist Dein Name, wie heißt Du?“
Er glotzte nur blöd. Vorsichtshalber behielt ich meinen Arm oben, ausgestreckt und die Handfläche zum Stopzeichen, aber so ein Affentheater, wie soll man Respekt vor einem Monstrum von rund 8 Metern haben, was sich anstellt, wie ein Hilfsschüler in der ersten Klasse?
„Name, Dein Name? Wie Du genannt wirst?“ Ich wiederholte eindringlich und machte keinen Hehl daraus, dass ich langsam ungeduldig wurde.
„Was ist das, Name?“ Raunzte der Gorilla und stemmte einen seiner Arme mit der Faust vor sich in den Sand.
„Name“, sagte ich, „also, mein Name ist Wolfgang. Ich heiße Wolfgang. Und Du?“
„Wolfgang“, wiederholte er bedächtig.
„Und Du?“ nickte ich erwartungsvoll.
Er glotzte nur.
„Also, wenn Du keinen Namen hast, dann nenne ich Dich Bimbo“. Ich formte meine Stophand zum Zeigefinger, deutete auf ihn und sagte; „Du bist Bimbo!“
„Was ist Bimbo?“ fragte er.
„Du bist Bimbo“. Ich zeigte mit dem Finger auf ihn.
„Bimbo“, murmelte Bimbo und schaute an sich runter. Ich Bimbo!“
Bimbo grinste breit und freute sich sichtlich, während er seine haarigen Arme und seine Finger betrachtete, von dem jeder einzelne so dick war, wie der Oberschenkel eines Bodybuilders. Dann besann er sich und schaute mich wieder ernst an.
Wir schauten uns eine ganze Weile an. Auge in Auge. Mein Arm wurde immer schwerer. Ich drehte das schmerzende Handgelenk und überlegte, ob ich wohl den Arm ganz runternehmen könnte, jetzt, wo das Monster einen Namen hatte. Das Monster, oder Bimbo, wie ich ihn jetzt getauft hatte, schaute meinen Arm an, dann musterte er seinen Arm. Und ich Naivling, ich wagte es, meinen Arm langsam sinken zu lassen.
Oh-Ooh! Da hatte ich wohl einen Fehler gemacht. Mit weit aufgerissenen Augen glotzte mich Bimbo an, erhob sich drohend und machte mit einem lauten Brüller Anstalt, sich auf mich zu stürzen.
„Stop!“ schrie ich hysterisch auf und hielt ihm meine Handfläche entgegen. „Stop, Bimbo!“ Bimbo zuckte zurück, „Warum?“
„Ich will nicht dass Du näher kommst!“
„Warum?“ raunzte Bimbo beleidigt.
„Ich will es nicht“, stammelte ich! „Das muss Dir genügen!“
„Nein!“ grollte Bimbo und ließ seine beide Fäuste vor sich in den Sandstrand fallen, dass das Boot ein paar Zentimeter in die Luft flog. Hinter mir hörte ich meine mir auf ewig Angetraute, wie sie wach wurde, es sich dann aber anders überlegte und mit einem Seufzer wieder in sich zusammensank.
Der Gorilla stützte seinen Oberkörper jetzt auf seine Arme und war mir näher gekommen, de facto einen ganzen Meter.
„Geh zurück, Bimbo!“ Ich hielt ihm weiter meine Hand entgegen und hoffte, dass ich irgendwie ein Art Dialog mit diesem bescheuerten, Hochdeutsch sprechenden Gorilla zustande brächte. Schlimm genug, dass ich an diesem Gott verlassenen Strand fest hing, jetzt musste ich auch noch einem riesenwüchsigen Affen beibringen, dass er sich zu verziehen habe, damit wir genügend Zeit hätten, unser Paddelboot wieder ins Meer zu ziehen und genügend Abstand zu diesem Muskelpaket zu gewinnen.
„Was ist das, zurück?“
Ich dachte kurz nach: „Sie mal, Du machst das, was Du eben mit Deinen Armen gemacht hast, aber anders herum.“
Bimbo dachte ehrlich bemüht darüber nach, zumindest wirkte er so, dann erhellte sich seine Miene und er zog seine Arme rund 20 Zentimeter an seinen Körper heran, von mir weg.
„Ja, nein“, stammelte ich, „das war ja schon ganz gut, aber das war zuwenig, das waren doch nur 20 Zentimeter.“
Völlig entgeistert staunte mich Bimbo an, „Was, was, was? Was ist zwanzig Zentimeter?“
„Schau mal“, dozierte ich, „um den ganzen Meter, den Du vorhin mit Deinem Armen vorwärts zurückgelegt hast wieder zurückzunehmen fehlen Dir nach der jetzigen Zurücknahme von lediglich 20 Zentimeter noch ganze 80 Zentimeter.“
Ich weiß nicht, ob Sie sich in einen Riesenaffen hineinversetzen können, der von jemandem, von dem man lediglich den Oberkörper sehen konnte und dessen Ehefrau, dessen Unterleib ebenfalls nicht präsent war, der also von so etwas erzählt bekommt, dass man 80 Zentimeter zusätzlich zu 20 Zentimeter benötigt, um einen ganzen Meter zu ergeben. Und das, wo diese Erkenntnis Zeit seines Lebens überhaupt keine Rolle für ihn gespielt hatte!
Für den etwas zu groß geratenen Gorilla am Strand der einsamen Insel war das jedenfalls zuviel. Völlig durcheinander und einem Blick im Antlitz, der alles aussagte, außer Erleuchtung, sagte Bimbo nur „Hä?“ und sagte es so satt und überzeugend, dass ich meine nunmehr vordringlichste Aufgabe darin sah, diesem minderbegabten Primaten die Grundbegriffe der Logik beizubringen. Zugegeben, immer noch nicht ganz uneigennützig, aber meine Intentionen waren doch in diesem Augenblick eher lauter.
„Bimbo“, versuchte ich es anders, „eines Tages werden Schiffe kommen mit vielen Menschen, um Dich zu bestaunen“.
„Mich?“ staunte Bimbo und zog eine Augenbraue hoch.
„Ja, Dich“, sagte ich mit vorwurfsvollem Unterton, „und Du kannst nicht mal rechnen!“
Ich schaute demonstrativ in einen andere Richtung. Er sollte ruhig spüren, dass ich ihn missbilligte.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Bimbo unruhig zappelte. Er schaute übers Meer, dann an sich runter und zupfte nachdenklich an seinem Brustfell herum. „Und sie kommen wirklich, um mich zu sehen?“ Seine Stimme hatte etwas von Gier.
Ohne ihn anzuschauen sagte ich unwirsch: „Aber ja, wenn ich’s doch sage!“
„Gut!“ sagt er, „und es sind viele, die da kommen, ja?“
Ich drehte mich wieder zu ihm um und schaute ihm fest in die Augen: „Es werden viele kommen und sie werden staunen, wie gut Bimbo rechnen kann.“
„Und Du bringst mir Rechnen bei, ja?“
„Natürlich, wenn Du willst“.
„Was muss ich tun?“ fragte er aufgeregt, strahlte über das ganze Gesicht und hüpfte vor Aufregung auf der Stelle.
„Beruhige Dich erst einmal!“
Er beruhigte sich, schaute mich erwartungsvoll an. Er machte sogar für Sekundenbruchteile auf mich einen recht intelligenten Eindruck.
„Pass auf“, sagte ich. „Ja“, sagte Bimbo. „Wir fangen an“, sagte ich. „Zuerst nimmst Du beide Arme hoch“. Dabei zeigte ich auf seine beiden Arme. Er nahm sie hoch. „So?“ Fragte er. „Gut so“, sagte ich.
„Und jetzt stellst Du sie 80 Zentimeter zurück in den Sand. Bimbo knallte mit einem lauten Dröhnen seine Fäuste rund 40 Zentimeter weiter vor sich hin.
„Nein, zurück“, rief ich vorwurfsvoll.
„Was ist, zurück?“ fragte Bimbo enttäuscht.
„Zurück“, antwortete ich, „das ist das Gegenteil von dem, was Du gerade gemacht hast“.
Bimbo runzelte die Stirn, schaute an sich herab, besah sich die Eindrücke im Sand, grinste dann plötzlich breit. Mit dem obligatorischen Strandbeben wuchtete er seine Fäuste rund 60 Zentimeter zurück in den Sand. Triumphierend sah er mich an.
„Sehr gut, Bimbo“, ich klatschte kurz Beifall. „Aber das waren nur 60 Zentimeter, Du musst also noch einmal Deine Arme 60 Zentimeter zurücknehmen, um den vollen Meter zurückzugehen.“ Ich schaute ihn an, „hast Du das verstanden?“ Bimbo: „Äh, nicht so richtig“. „Dann pass auf“, sagte ich entschlossen, ihm das zu erklären: „Du hast insgesamt 120 Zentimeter zurückgelegt, indem Du erst einen Meter vorgegangen bis“, Bimbo nickte ansatzweise. „Dann bist Du 20 Zentimeter zurück“, Bimbo nickte. „Dann bist Du wieder 40 Zentimeter vor, das sind 120.“ Bimbo nickte. „ 100 minus 20 sind 80, plus 40 sind 120“. Ich strahlte Bimbo an. Der nickte. Ich fuhr fort: „Dann bist Du 60 Zentimeter zurück, und 120 minus 60 sind 60!“ Ich strahlte ihn förmlich an, „und wenn Du sie jetzt noch mal 60 Zentimeter zurücknimmst, dann hast Du den vollen Meter zurückgenommen. Verstanden?“ Bimbo nickte, was unmittelbar in ein Kopfschütteln überging. „Nein!“ Bimbo sah verzweifelt aus.
Ein Gorilla ist eine echte Herausforderung
Ich wischte mir mit der Hand durchs Gesicht. „Okay“, sagte ich, „nicht aufgeben, wir schaffen das!“ Ich holte tief Luft. Hinter mir holte noch jemand tief Luft. „Jetzt nicht“, zischte ich, „ich unterrichte!“
Meine Frau musste wohl sofort wieder ohnmächtig geworden sein.
„Bimbo“, Bimbo spannte sich erwartungsvoll und schaute. „Bimbo, pass mal auf, stell Deine Arme 1 Meter vor!“ Augenblicklich stampfte Bimbo seine Fäuste 50 Zentimeter vor.
„Gut“, seufzte ich, „das war sehr gut, aber das waren lediglich 50 Zentimeter.“ Bimbo schaute sich das an. „Warte“, sagte ich, „stell jetzt einen Deiner Arme genauso weit vor, wie Du beide gerade vorgestellt hast, lass den anderen Arm, wo er ist“. Erwartungsvoll harrte ich der Dinge.
„Welchen Arm?“ Bimbo schaute von einer Faust zur anderen. „Egal“, seufzte ich, irgendeine, nimm den rechten Arm“.
Bimbo dachte kurz nach und nahm seinen linke Arm 20 Zentimeter zurück.
„Nein, nicht doch!“ Ich war enttäuscht. „Das war der linke Arm. Außerdem hast Du ihn zurückgenommen und nicht vor.“ Ich klopfte ungeduldig gegen das Segeltuch des Faltboots. „Und es waren nur 20 Zentimeter, nicht 50. Konzentrier Dich, bitte!“
Bimbo schaute an sich runter, hob probehalber sein rechtes Bein und stellte es vor. „Nein“, rief ich, „das ist Dein Bein“. Er nahm es wieder zurück, verdoppelte aber die Entfernung um 60 Zentimeter. „Nein!“ rief ich. Bimbo zog seinen rechten Arm 40 Zentimeter zurück und sein linkes Bein vor. „Nein“, schrie ich ihm zu, „Du tanzt ja, willst Du tanzen?“ Bimbo schaute hoch, rief, „tanzen“, nahm seinen rechten Arm und sein linkes Bein hoch, stemmte sich, als er drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, 20 Zentimeter vor wieder in den Sand. „Nein!“ rief ich und raufte mir die Haare. Bimbo rief „Ah, ich hab’s!“, nahm sein linkes Bein hoch, stellte es 60 Zentimeter seitwärts, zog seinen rechten Arm nach und dreht sich um die eigene Achse. „Nein!“ jammerte ich, „nein, nein, nein!“ Bimbo steppte mit seinen Armen in 20iger Schritten vor und zurück, stampfte seine Fäuste und mit den Beinen im Takt meiner Nein-Rufe, und er stimmte selbst ein: „Nein, nein, nein!“ sangen wir im Chor, während Bimbo den Sand aufwirbelte. Er legte mittlerweile eine kesse Sohle auf den Strand und wiegte seine Hüften im Takt, – die Hände zum Himmel…!
Ich muss wohl irgendwann mit meinen dämlichen Nein-Rufen aufgehört haben, bin aus dem Boot heraus, meine Frau geweckt, zusammen das Boot ins Wasser geschoben und durch die Brandung durch, ab in die Wellen, zack-zack-zack, das Paddel rhythmisch durchgezogen, Bimbo gab mit seinem Stampfen und Nein-Rufen den Takt vor. Als wir weit genug vom Strand weg waren, schon die Strömung unter uns spürten, die uns raus ins Meer zog, da drehten wir uns noch einmal um. „Siehst Du, was ich sehe?“, stöhnte meine Frau. Ich sah, was sie sah, einen Riesenaffen, der auf dem Strand im Kreis herumtanzte und seine Arme durch die Luft wirbelte.
Wir wurden rasch schneller und entfernten uns von der Insel, bis sie am Horizont verschwand. In der Nacht schliefen wir erschöpft ein. Am nächsten Morgen beschlossen wir, nicht mehr darüber zu reden. Nie mehr. Außerdem hatte ich den Eindruck gewonnen, dass mir meine Gattin nicht so recht glaubte, was mich zu der Bemerkung verleitete, dass manche Menschen die interessantesten Dinge leicht verschlafen würden. Danach war das Thema sowieso tabu gewesen.
Endlich zurück in der Zivilisation
Es dauerte etwas, bis wir einen Hafen gefunden hatten. Wir legten an, vertäuten das Boot und gingen an Land, um uns die Füße zu vertreten. In einem Mittelklassehotel mit Restaurant und Bar bekamen wir ein Doppelzimmer mit Bad und freuten uns, wie die ersten Menschen darüber, endlich wieder auf einer Porzellantoilette sitzen zu können. Meine Frau nahm ein ausgiebiges Bad. Am Abend speisten wir im Restaurant, wie die Könige, tranken eine gute Flasche Wein, der meine Frau beschwippst machte, weil sie wirklich völlig übermüdet war. Ich wollte noch etwas spazieren gehen, vor dem Schlafen, meine Frau ging mit den Worten, „ich will einfach nur schlafen“ nach Oben aufs Zimmer.
Im Hafen fand ich eine Bar in der Einheimische, Matrosen und Geschäftsleute auf der Durchreise einen Drink nahmen und miteinander plauderten. Gegen Neun, halb Zehn, ich plauderte gerade mit einigen Geschäftsleuten und Vertretern über belanglose, alltägliche Dinge, als die Türe zur Straße aufgestoßen wurde und ein Mann mit wirrem Haar und irrem Blick hereingestolpert kam. „Whiskey!“ keuchte er und stürzte sich die ersten paar Doppelten atemlos rein. Klar, dass alle in der Bar sich auf ihn konzentrierten, Ob er einen Geist gesehen habe. „Geist?“ kreischte er hysterisch, „Geist? Ich wünschte, ich hätte nur einen Geist gesehen. Whiskey!“ Wir erboten uns, ihm eine ganze Flasche zu spendieren, er nahm dankbar an. “Wisst Ihr“, stotterte er, “wenn ich einen Geist gesehen hätte, oder ich wäre dem Klabautermann begegnet, ich würde nur lachen!“ Er lachte irre. Wir beruhigten ihn, in dem wir ihm gut zuredeten. Was ihm denn nun passiert sei, dass er so aufgebracht sei. „Nein“, schrie er, ich will nicht ins Irrenhaus!“
Wir versicherten ihm, dass wir ihn nicht ins Irrenhaus bringen würden, „Schwört!“ Forderte er uns auf. Wir schworen einzeln, beim Leben unserer Eltern, Ehefrauen und Kinder, ihn nicht für verrückt zu halten und ihn nicht an die Psychiatrie zu übergeben. Gespannt schauten wir ihn an. Er stürzte schnell noch ein paar Drei- bis Vierfache hinunter und blickte dann jeden von uns mit irrem Flackern in den Augen an.
„Nein!“ brüllte er und stolperte schluchzend auf die Tür zu, wir fingen ihn ab und schleiften ihn zurück zu seiner Flasche auf dem Tresen. Der Schuhvertreter aus Chicago baute sich hinter ihm auf, ich sicherte seine linke Flanke. Der Matrose von dem Trawler draußen stand bereit, einen rechten Ausfall zu vereiteln. Wir warteten.
„Was ich gesehen habe, das werdet Ihr mir nicht glauben.“ Wir nickten zustimmend und schwiegen.
„So etwas darf ein Mensch nicht sehen“, fuhr er zitternd fort. „Ich selbst hätte nie geglaubt, was ich gesehen habe, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen!“ Er schnellte hoch und wollte sich mit einem verzweifelten „Nein!“ losreißen. Wir waren gnadenlos.
„Gut“, stöhnte er resigniert und reichlich betrunken, „Ihr wollt es nicht anders.“ Er richtete sich auf und fing an zu erzählen. „Vor einigen Tagen fuhr ich mit meinem Kajütboot auf einen Insel zu, die nicht auf meiner Seekarte verzeichnet war. Man weiß ja nie, ob man so was nicht irgendwann vermarkten kann, an Kunden, die Land kaufen wollen oder nur gute Tauchgründe an einer Robinsoninsel suchen. Solche Kunden zahlen gut, wisst Ihr?“ Wir nickten wissend und drängten ihn, weiterzuerzählen. Der aus Detroit spendierte noch eine Flasche Whiskey.
„Ihr versprecht, dass Ihr mich nicht für verrückt erklärt?“ Wir beruhigten ihn und flößten ihm ein volles Glas ein.
„Ich fahre also auf die Insel zu, und sehe eine Bucht mit einem Strand auftauchen.“ Ich tupfte ihm mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
„Also, ich fahre so auf den Strand zu…“
Mit einem Ruck riss er sich los und stolperte „Nein, ich will nicht!“ grölend zwischen uns herum. Harry, der Fernfahrer drückte ihn gemeinsam mit dem Wirt wieder auf den Barhocker.
„Ich, also auf den Strand zu, wo dieses, wo ich das…“
„Wo du was?“ fragte der Matrose.
„Wo ich dieses Monster…“, kreischte der Mann los, „wo dieser riesige, mindestens 8 Meter große Gorilla im Sand sitzt und als es mich sieht, aufspringt, Bossa Nova tanzt, ich kann rechnen brüllt und mir zuwinkt!“ Winselnd bricht der Mann zusammen und wälzt sich heulend auf dem Barboden herum.
Ein Gorilla kann Tanzen.
Ja-ne-is-klar!
Der Chefarzt der psychiatrischen Klinik versichert uns, dass wir richtig gehandelt hätten, man würde alles versuchen, dem armen Mann zu helfen, seine Wahnvorstellungen loszuwerden. Wir hatten ihn mit dem Auto des Barbesitzers in die Klinik gefahren. „Er hat mir auf der Fahrt hierher ins Bein gebissen“, sagt der Matrose. Ihm wird versichert, dass das nicht ansteckend sein, man würde ihm vorsichtshalber eine Tetanusinjektion geben. Das war richtig, diesen armen Teufel in gute Hände zu geben, versichert mir der Fernfahrer. Wer sich so etwas ausdenkt, der gefährdet andere. Ich stimme ihm zu. „Man hilft, wo man kann“.
Zurück in der Bar trinken wir noch einen. Wir sind sicher, das Richtige getan zu haben. Man stelle sich vor, jemand von der Presse würde das mitgekriegt haben. Ein Monstrum, dass rechnen kann und tanzt. „Die bringen so was ganz groß raus und übertreiben ja auch noch“, sagt Harry. „Nicht auszudenken, wie man die Bevölkerung mit so einen Quatsch erschreckt!“ sagt der Barkeeper. Ich nicke zustimmend: „Ein Riesenaffe, am Traumstrand. Einfach lächerlich!“
Morgen würde ich mit meiner Frau wieder in See stechen und zurück nach Bremerhaven paddeln, irgendwann ist schließlich Schluss mit Urlaub. Aber diese Insel würden wir suchen. Ein Gorilla, der Bossa Nova tanzt. Muss man einfach gesehen haben.