Im Flieger

Ich weiß nicht, wie es andere machen, ich jedenfalls, setze mich in den Flugzeugsitz, oder besser, ich lasse mich aus möglichst großer Fallhöhe hinein plumpsen und hoffe, dass ich die letzten 10 Zentimeter, nachdem mich die Lehnen aufgehalten haben, auch noch schaffe. Meine Tochter hat eh den entrückten Blick, und ihre Ohrhörer links und rechts. Mein Sohn unterhält sich wie immer am Fensterplatz mit der Kunststoffscheibe, und beschreibt ihr, was er sieht: Wolken!
Meine Frau liest völlig versunken im Bordmagazin, welche exquisiten Duftwässer gerade in sind, dabei ist sie immer noch in eine intensive Wolke im Wert von mindestens 30 Euro gehüllt. Und ich sitze mit meinen zwei Metern Körpergröße und den mindestens 10 Kilo zuviel an der Bauchgegend, als hätte man mich in Beton gegossen. Wenn jetzt der Vordermann noch seine Lehne nach hinten knallt, um zu schlafen, dann habe ich einen Trümmerbruch bis zum Becken.

„Fleisch“ bestätige ich und nehme das Tablett entgegen. Meiner wohlduftenden Frau wird ihr Tablett und das meines Sohns am Fenster an mir vorbei gereicht. Ich warte, bis sie alles aufgeklappt und positioniert, ausgepackt und verstaut, eingepasst und nachgesalzen habe, dann bin ich an der Reihe.
Der Klapptisch ist schräg, weil meine Knie zu hoch sind. Also unterfüttere ich zur Lehne des Vordermanns hin mit meiner Jacke und dem Kissen. Zur Stabilisierung links und rechts noch die zwei leeren Coladosen, die ich, vermutlich noch vom letzten Flug übrig, in der Netztasche gefunden habe, und verrenke mir die Arme, um die ganzen Kästchen und Döschen, Dishes und Näpfchen zu öffnen, die Deckelchen unter die Näpfchen zu drücken und die verschweißten Utensilien auszupacken. Pfeffer, Salz, Zucker, Zahnstocher…

„Möchtest Du meinen Salat?“ Meine Frau stellt ihren winzigen Fingerhut mit Coleslaw auf meinen winzigen Fingerhut mit Coleslaw. Ein kleines Luftloch verhindert, dass mein Nachsalzen der Geflügellasagne erfolgreich ist. Meine Frau hat ihren Becher Orangensaft verschlabbert und versucht jetzt, ihren Nachtisch von der gelben Flüssigkeit zu befreien. Mein Sohn erbarmt sich und trinkt den Orangensaft vom Puddingnäpfchen ab. Wir haben uns verheddert. Ich gebe den Arm meiner Frau frei und versuche meinen Unterarm so zu drehen, dass ich irgendwie etwas auf meine Gabel bekomme. Mein Brötchen plumpst runter und verschwindet für alle Ewigkeit. Meine Frau wirft mir diesen Blick zu, diesen nicht-einmal-das-kannst-du. Ob ich ihren Pudding möchte. Ich verneine. Meine Tochter zuckt im Takt ihrer Ohrmusik. Sie hat den Minisalat gegessen. Mein Sohn hat aus Besteck und dem Brötchen ein Tier gebastelt und auf die Lehne vor sich gestellt. Natürlich fällt es dem Vordermann ins Genick.
Meine Frau schimpft, während ich mich entschuldige. Die Stewardess reicht ein Tuch rüber, meine Tochter verdreht die Augen. Auf dem Monitor gibt es Werbung, die Malediven. Es ist ja auch besonders sinnvoll, den Passagieren auf dem Flug in 2 Wochen Urlaub auf Fuerteventura ein völlig anderes Urlaubsziel vorzustellen, was sie hätten buchen können, wenn sie es sich hätten leisten können.
Ich widme mich meiner Lasagne, die mir in dem Moment von der Gabel auf die Hose rutscht, als mein Sohn „Mister Beam!“ brüllt. Ich beuge mich vor, sehe, dass im Bordfernsehen Mr. Bean läuft und kriege im gleichen Augenblick die Lehne des Vordermanns vors Gesicht geknallt, der sich gerade überlegt hat, ein Nickerchen zu machen. Die Stewardess kann ihn davon überzeugen, dass das keine gute Idee ist, wenn hinter einem jemand sitzt, der mit seinen langen Armen zum Würgen auch über den Sitz greifen kann.
Meine Frau schimpft minutenlang über die Rücksichtslosigkeit der Menschen und haut meinem Sohn eine. Meine Tochter verdreht die Augen und distanziert sich körperlich. Den Rest des Flugs sehen wir nur noch ihren Rücken.
Ja, ich möchte noch etwas trinken. Den randvollen Plastikbecher mit Rotwein halte ich mit den Zähnen fest, während ich das Essentablett zusammenfasse. Ein Teil fällt runter, macht aber nichts, meine Frau ergänzt sehr schnell mit ihrem Müll. „Ich muss mal!“ verkündet mein Sohn und ist schon fast über mir. Zum Glück kommt gerade die Stewardess mit dem Abräumwagen. Dafür habe ich so intensiv sortiert, dass die die 3 Tabletts in Sekundenbruchteilen verschwinden lässt.

Natürlich bin ich noch angeschnallt und kann deswegen nicht aufstehen. Der Rotwein fließt mir in den Kragen. Ich schnalle meine Frau los, die mir daraufhin vorwirft, ich wolle sie umbringen. Was, wenn jetzt eine Turbulenz ist? Ich verkneife mir eine Antwort, stecke ihr Gurtschloss wieder zusammen und schnalle mich ab. Sie ist aber auch damit nicht zufrieden, sondern gibt zu Bedenken, dass sie ja schließlich auch aufstehen müsse, wenn unser Sohn raus will. Seufzend stehe ich im Gang, meinen Kopf auf der Brust, weil Flugzeuge nun einmal nicht für mich gebaut werden, sondern für heranwachsende Zwerge.
„Vertrete dir doch etwas die Beine“, ermuntert mich meine Frau. Ich hample ein wenig herum, sehe aus, wie ein trauernder Kakadu mit Harndrang und setze mich wieder, als mein Sohn zurück ist.
„Lass mich auch mal eben raus“, meinte meine Frau sofort danach. Ich stehe solange wie ein trauernder Kakadu im Gang, bis die Durchsage kommt, dass wir unsere Flughöhe verlassen hätten.
Meine Frau kommt strahlend den Gang heran. Sie hat Frau Dingenskirchen vom Supermarkt hinten getroffen, „denk mal, die fliegen auch nach Fuerteventura!“ Ja, wo sollen die denn in diesem Flugzeug sonst hinfliegen? Ich solle mal riechen, sie habe sich ein Parfum gekauft, ganz billig. Irgendwas mit Zimt und süß. Mir gefällt es nicht. „Oder das hier, ich hab noch ein anderes gekauft.“
Wir sitzen. Mein Sohn klopft gegen das Fenster und schreit, „Da, da, da!“ Mir wird augenblicklich wieder klar, dass wir mindestens ein schwachsinniges Kind haben. Meine Tochter präsentiert immer noch ihren Rücken. Ich in mir sicher, dass sie wieder den ganzen Urlaub über Rückenschmerzen jammert – außer am Abend, wenn Disko ist.

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